Wer kennt sie nicht – die Kollegin, die nach dem hitzigen Meeting als Erste das Wort ergreift, um die Wogen zu glätten? Der Teamleiter, der zwischen zwei Fronten vermittelt, wenn Konflikte schwelen? Oder der ruhige Kollege, der mit einem Blick erkennt, wann jemand Trost, Zuspruch oder einfach ein offenes Ohr braucht?
Diese Art der Fürsorge, des intuitiven Kümmerns, hat keinen festen Platz im Organigramm. Sie wird selten strategisch geplant, noch seltener explizit gewürdigt. Und doch ist sie von zentraler Bedeutung: emotionale Arbeit – die unsichtbare Kraft, die im Inneren vieler Organisationen wirkt, wie ein fein gesponnenes Netz aus Empathie, Kommunikationsgeschick und intuitiver Beziehungspflege.
In der Betriebswirtschaftslehre dominieren andere Konzepte: Effizienz, Produktivität, Profitabilität. Alles muss messbar, skalierbar, planbar sein. Doch was passiert mit dem, was man nicht zählen kann – und trotzdem zählt? Wie bewertet man den Beitrag jener Menschen, die Spannungen entschärfen, informelle Gespräche führen, Bindungen stärken – all das, was das Zwischenmenschliche in Organisationen trägt?
Wenn Emotionen zum Teil der Wertschöpfung werden
Emotionale Arbeit ist keine Laune, kein Zufallsprodukt, sondern eine gezielte, wenn auch oft unbewusste Leistung. Sie umfasst alle Tätigkeiten, bei denen emotionale Intelligenz, soziale Antennen und zwischenmenschliche Feinfühligkeit gefragt sind. Der Begriff wurde ursprünglich von Soziologin Arlie Hochschild geprägt, heute ist er aktueller denn je.
Im beruflichen Alltag zeigt sich emotionale Arbeit in vielen Facetten:
- Eine Führungskraft, die ein Teamgespräch nutzt, um nicht nur Aufgaben zu verteilen, sondern auch Ängste anzusprechen.
- Ein Mitarbeiter, der nach einem Kundenverlust nicht nur Zahlen analysiert, sondern auch das Team emotional stabilisiert.
- Der Azubi, der intuitiv spürt, wann es besser ist, im Meeting zu schweigen, statt Öl ins Feuer zu gießen.
All diese kleinen Momente sind nicht formal beauftragt. Sie stehen nicht auf To-do-Listen. Und trotzdem wirken sie – täglich, nachhaltig, tief.
Was emotionale Arbeit alles leisten kann
Viele unterschätzen, wie zentral diese unsichtbare Arbeit für das Funktionieren von Teams und Unternehmen ist. Sie…
- verhindert Eskalationen, bevor sie entstehen
- schafft Vertrauen innerhalb von Gruppen
- trägt zur Konfliktlösung bei, ohne dass formale Maßnahmen nötig sind
- erhält Motivation, besonders in stressigen Phasen
- fördert Bindung, Loyalität und psychologische Sicherheit
Gerade in agilen Organisationen, in denen Hierarchien flach und Verantwortlichkeiten geteilt sind, wird emotionale Arbeit zur zentralen Ressource. In solchen Strukturen gewinnt auch Demokratie im Unternehmen an Bedeutung – also das Prinzip, dass Mitarbeitende auf Augenhöhe mitbestimmen, Verantwortung übernehmen und gemeinsam Kultur gestalten. Emotionale Arbeit ist dabei kein Nebenprodukt, sondern ein entscheidender Bestandteil dieser demokratischen Mitgestaltung.
Wenn Caring zur Belastung wird
Besonders häufig übernehmen Frauen, queere Personen und Angehörige marginalisierter Gruppen emotionale Arbeit – aus sozialer Prägung, weil sie sich verantwortlich fühlen oder weil sie sensibler für soziale Schieflagen sind. Doch genau das führt langfristig zu emotionaler Erschöpfung und gefühlter Überforderung, oft ohne sichtbare äußere Ursachen.
Diese Überlastung ist tückisch. Sie entsteht nicht durch zu viele Aufgaben auf dem Papier, sondern durch zu viel emotionale Verantwortung im Raum. Das berühmte „unsichtbare Zusatzgepäck“ – man trägt es mit, ohne dass jemand darum gebeten hat. Ein typisches Beispiel: Während andere an ihren fachlichen Zielen arbeiten, kümmert sich eine Kollegin regelmäßig um die emotionalen Spannungen im Team – aus Gewohnheit, aus Pflichtgefühl. Doch diese Arbeit zehrt. Und sie bleibt fast immer unbezahlt.
Warum Unternehmen umdenken müssen
Was nicht gesehen wird, kann auch nicht geschützt werden. Und was nicht geschützt wird, bricht früher oder später weg. Unternehmen, die emotionale Arbeit systematisch ignorieren, laufen Gefahr, ihre soziale Infrastruktur zu verlieren – und zahlen dafür einen hohen Preis, etwa in Form einer steigenden Fluktuationsrate.
Doch es gibt Lösungen. Und sie sind keineswegs weichgespült oder esoterisch. Im Gegenteil: Sie lassen sich auch betriebswirtschaftlich sinnvoll begründen. Konkret heißt das:
- Anerkennung und Sichtbarkeit schaffen: Emotionale Arbeit muss als fester Bestandteil der Teamleistung verstanden und in Führungskulturen thematisiert werden – etwa in Feedbackrunden oder im Performance Management.
- Ressourcen bereitstellen: Menschen, die viel emotionale Arbeit leisten, brauchen Entlastung – sei es in Form von Zeit, Supervision oder klar verteilten Zuständigkeiten.
- Verantwortung umverteilen: Statt dass „die eine Kümmererin“ alle Konflikte abfängt, sollten Teams Mechanismen entwickeln, wie diese Aufgabe auf mehrere Schultern verteilt werden kann.
- Training ermöglichen: Empathie und Konfliktkompetenz sind keine angeborenen Talente, sondern Fähigkeiten, die sich durch gezielte Schulungen fördern lassen.
Rückgrat jeder Unternehmenskultur
Emotionale Arbeit ist keine Nebensache. Sie ist das Rückgrat jeder funktionierenden Unternehmenskultur. Ohne sie werden Change-Prozesse zum Drahtseilakt, Teammeetings zur Pflichtübung und Personalentwicklung zum Sisyphos-Projekt. Mit ihr hingegen entstehen Räume, in denen Menschen sich entfalten, gemeinsam wachsen und sich gegenseitig stützen können – selbst unter Druck.
Sie ist wie das Öl im Getriebe: Man sieht es nicht, aber wenn es fehlt, merkt man es sofort. Die Maschinen quietschen, das System wird zäh. Oder anders gesagt: Emotionale Arbeit ist wie das Licht hinter den Kulissen. Ohne sie bleiben alle anderen Prozesse im Schatten. Es ist an der Zeit, dieser unsichtbaren Arbeit ein Gesicht zu geben. Eine Stimme. Und endlich den Platz, den sie verdient – im Herzen der Organisation und in den Zahlen der BWL.